Spuren des zweiten Weltkriegs und ein Kindergrab aus der Völkerwanderungszeit (Schnitt 4)
Im Jahre 1998 wurde an der höchsten Stelle des Hochplateaus im Vorfeld der Errichtung eines Aussichts- und Museumsturms im Auftrag des Bundesdenkmalamtes eine archäologische Grabung (Schnitt 4) durch die Universität Wien unter der Leitung von Wolfgang Neubauer vorgenommen. Nach der maschinellen Entfernung einer illegal errichteten Betonplatte kamen die Reste eines Wachturmes und einer Mannschaftsbaracke aus dem zweiten Weltkrieg zu Tage. Für die aus Holz errichtete Baracke wurde im zweiten Weltkrieg die prähistorische Schichtenfolge auf einer Fläche von 22 m2 bis auf den anstehenden Orthogneis und Marmor abgegraben und ein Fundamentgraben für die Barackenmauer ausgehoben. Beim Putzen der Unterkante dieser Störung wurde während der Grabung eine in den Felsen eingetiefte Grabgrube sichtbar an deren westlichen Rand ein Schädel erkennbar war.
Die Grabgrube ist annähernd rechteckig, senkrecht in den Felsen gehauen und ist 0.5 m breit und 1.2 m lang. Die Grabgrube ist mit ihrer Längsachse genau West-Ost orientiert und wurde an der topographisch höchsten Stelle des Hügels angelegt. Sie wird im Osten durch den Fundamentgraben der Nordmauer der Baracke gestört.
Das freigelegte Skelett eines Kindes war von einer Steinlage aus Marmorbruchsteinen mit 5 – 20 cm Durchmesser bedeckt. Die Bestattung war im Fußbereich durch den Fundamentgraben der Barackenmauer gestört. Es ließen sich bei der Grabung keine Grabeinbauten oder Spuren einer Beraubung feststellen. Das Kind wurde mit dem Kopf Richtung Westen (Blick nach Norden) ohne Grabbeigaben bestattet. Die Lage des Skeletts deutete auf eine Bestattung in leichter linksseitiger Hockerstellung hin. Nach Analyse des Grabungsfotos und der Planaufnahme kann aber auch eine Bestattung in Rückenlage mit sekundärer Verlagerung der Oberschenkelknochen angenommen werden; da die Unterschenkelreste parallel und in der Körperachse liegen. Die geborgenen Skelettreste wurden zur Bearbeitung und Präparation an die Mitarbeiter der Abteilung Archäologische Biologie und Anthropologie des Naturhistorischen Museums Wien übergeben. Bei der anthropologischen Untersuchung (vgl. Anhang) wurde eine künstliche Schädeldeformation erkennbar. Das untersuchte Kinderskelett wurde nach Errichtung des Aussichts- und Museumsturmes in einer rekonstruierten Grabgrube an Ort und Stelle wieder bestattet.
Da keinerlei Grabbeigaben vorlagen wurde zur zeitlichen Einordnung des Grabfundes eine 14C Datierung am Knochenmaterial (1) durchgeführt (VERA 1666: 1636+/- 37 BP). Das in einem Zeitraum von kalibriert 380-440 verstorbene Kind gehört in die Periode der Völkerwanderungszeit. Das Sterbealter konnte mit 3-4 Jahren bestimmt werden. Die Körperhöhe wurde aus der Länge des rechten Femur berechnet. Daraus ergibt sich für subadulte männliche Individuen eine Körpergröße von ca. 85-94 cm und für Mädchen ein Wert von 84-93 cm. Da das Geschlecht anthropologisch nicht sicher bestimmt werden konnte, wurde das Ergebnis gemittelt (84-94cm). Die morphologischen Veränderungen am Kinderschädel deuten auf eine von außen erfolgte Manipulation im Sinne einer künstlichen Schädeldeformation hin. Die ringförmigen, das Schädeldach umfassenden, ca. 4 cm breiten Eintiefungen bzw. Abflachungen könnten durch eine Bandagierung des kindlichen Kopfes entstanden sein. Der vorliegende Kinderschädel wurde wahrscheinlich in ähnlicher Weise wie das Kind von Schiltern mit zirkumferenten Binden deformiert (2). Durch die daraus resultierende Druckausübung ist es wahrscheinlich zu einer Hirndrucksymptomatik gekommen. Das Gesamtbild der weiteren festgestellten pathologischen Veränderungen deutet auf eine Mangelkrankheit wie z.B. bei Vitamin C-Mangel hin. Bei länger andauernden Vitamin C – Mangel ist das Immunsystem geschwächt und eine zusätzlichen Infektion kann schnell zum Tod dieses Kleinkindes geführt haben kann.
Für den österreichischen Raum wird angenommen, dass die Hunnen und die von ihnen beeinflussten Sarmaten die Technik der Schädeldeformation aus Zentralasien nach Mitteleuropa gebracht haben. Viele germanische Völker die unter die Herrschaft der Hunnen gerieten wie, die Gepiden, die Ostgoten, die Rugier, die Heruler und die Burgunder dürften diesen Brauch in der 1. Hälfte des 5. Jh. übernommen haben. Bei westgermanischen Stämmen wie den Quaden, den Thüringern und den Langobarden sind künstliche Schädeldeformationen nur sehr vereinzelt zu finden. Die Sitte der künstlichen Schädeldeformation im 5. Jh. war ein Kulturelement, das im Zuge politischer Vorgänge mit einer von Reiternomaden getragenen kurzfristigen Machtzusammenballung weit nach Westen getragen wurde und schon bald nach dem Zusammenbrechen des hunnischen Großreiches wieder aufgegeben wurde. Das deformieren kindlicher Schädel mag in Europa eine „Modeerscheinung“ dieser Zeit gewesen sein, die sicher nicht nur auf die Form des Schädels beschränkt war, sondern auch Kleidung, Schmuck und Bewaffnung umfasste. Ein künstlich deformierter Schädel hat nicht nur eine ästhetische Komponente, er prägt das Individuum auch in seiner Identität. Der Schädel wird zum fundamentalen Teil einer Persönlichkeit. Es ist zudem ein ausdrucksvolles, ständig sichtbares, deutliches Symbol einer sozialen Zugehörigkeit.
Da zur Zeit noch keine weiteren völkerwanderungszeitlichen Funde in der Gegend um Schwarzenbach (NÖ) vorliegen, kann man eventuell auch eine Bestattung des Kindes auf der „Durchreise“ in Erwägung ziehen. Die Schädeldeformation, die Lage der in Stein gehauenen Grabgrube an der höchsten Stelle des Hügels – einem sehr markanten Punkt in der Umgebung – lassen bei dem Kind, trotz fehlender Grabbeigaben, eine soziale Sonderstellung vermuten. Eine Bestattung in einem Holzsarg mit Steinabdeckung erscheint wahrscheinlich. Das Grab dürfte kurz nach der Bestattung beraubt worden sein.
Neben massiven Einbauten durch einen militärischen Beobachtungsposten und das völkerwanderungszeitliche Kindergrab konnten weitere späteisenzeitliche Siedlungsreste festgestellt werden (Haus 9 – Haus 11). Die Häuser 9 und 10 befinden sich im südwestlichen Bereich des Grabungsschnittes, weisen eine NW - SO Orientierung auf und stellen in der Bauweise eine Kombination aus einem Schwellbalken und Pfostenbau dar und sind in die Latènezeit zu datieren. Es fanden sich sowohl die Balkenauflagen, die noch die Verfärbungen und Holzkohlereste von Schwellbalken zeigten und entsprechende Planierungen und Pfostengruben. Die beiden nahe beieinander stehenden Häuser wurden durch eine fundreiche Traufgasse getrennt.
Das Haus 11, dessen Pfostengruben alle im Felsmassiv nördlich der Baracke und innerhalb des Wachtturmes aus dem zweiten Weltkrieg lagen, wies die selbe NW - SO Orientierung wie die Häuser 9 und 10 auf, war jedoch ein reiner Pfostenbau und kann nicht mit Sicherheit datiert werden. Haus 11 ist vor allem im nördlichen Bereich , durch die Errichtung des Turmes sehr stark gestört. Auch der Verlauf des Hauses in westlicher Richtung konnte nicht eindeutig geklärt werden.
Auch auf dieser Fläche ließ sich die intensive bronzezeitliche Besiedlung der Fundstelle durch mehrere Hausgrundrisse (Haus 12 – Haus 15) belegen. Das Haus 12 befand sich im südöstlichen Bereich des Grabungsschnittes, wobei sich der Grundriss über den östlichen Schnittrand hinauszog und im Zuge der Grabung nicht genauer untersucht werden konnte. Dieses NW – SO orientierte Gebäude wurde von Haus 10 im Südwesten geschnitten. Die jüngsten der wenigen Keramikfragmente sind urnenfelderzeitlich und datieren vermutlich dieses Gebäude, bei dem es sich um einen Schwellbalkenbau handelte. Es fanden sich eine Balkenauflage, deren Steinplatten mit kleinen Steinen unterlegt waren, Auflagesteine, für einen nicht mehr erhaltenen Balken, sowie Reste von lehmverputzten Flechtwerkwänden. Eine Planierung, als Unterlage für einen Lehmboden, wurde innerhalb des Gebäudes freigelegt, wobei der gewachsene Boden, stark korrodierter Orthogneis, abgetragen wurde, um dieses schotterige Material aufzuschütten, das den Lehmboden trocken halten sollte. Die Stratigraphie zeigt eindeutig, dass Haus 12 jünger als Haus 13 und älter als die Häuser 9, 10 und 11 zu datieren ist.
Das Haus 13 erstreckte sich entlang des Ostschnittrandes und lief im Osten über diesen hinaus, so dass dieser Bereich nicht untersucht werden konnte. Das NW - SO orientierte Gebäude wurde von Haus 12 im Südosten geschnitten und war durch eine Zerstörungsschicht aus dem 2. Weltkrieg im mittleren - nördlichen Bereich des Hauses stark gestört, wobei die mögliche ursprüngliche Ausdehnung des Hauses in nördlicher Richtung nicht mehr zu rekonstruieren war. Neben einer Planierung vor Haus 13 und dem Estrich im Innerem, zeichnet sich sehr deutlich eine zu Haus 13 gehörige Herdstelle ab, die durch eine Unterlagsplatte gekennzeichnet ist. Sie bestand aus einer ovalen Steinsetzung aus runden, abgeflachten Marmorbruchsteinen um die eine stark rotgefärbte lehmige Brandschicht verläuft. Eine sich im Westen an die Herdstelle anschließende kompakte Steinlage sei erwähnt. Im Bereich um die Herdstelle wurde massiv bronzezeitliche Keramik gefunden. Anhand der Pfostengrubenreihen mit gelegtem Steinkreis weist sich Haus 13 als reiner Pfostenbau aus, der im untersuchten Bereich eine zweiräumige Struktur zeigte und auf Grund der Keramik in die Bronzezeit datiert werden kann.
Das Haus 14 befand sich fast zur Gänze im Felsmassiv östlich der Baracke, die Ausrichtung war Nord - Süd und dürfte mit Haus 15 zu verbinden sein, welches ebenfalls eine Nord-Süd Orientierung aufweist. Anhand des Fundmaterials datiert Haus 14 Gebäude in die Frühbronzezeit und stellte den ältesten Hausgrundriss in Schnitt 12 dar. Haus 14 ist ein typischer Pfostenbau, dessen Pfostengruben sich im anstehenden Gestein fanden und teilweise mit einer Unterlagsplatten ausgelegt waren. Anhand der Pfostengrubenreihen könnte es sich sowohl um ein Gebäude mit zwei oder drei Räumen handeln dürfte. Im Zusammenhang mit diesem Haus sei als besonderer Fund eine bronzene Lanzenspitze erwähnt. Das Haus 15, im Zentrum des Schnittes, wurde von der Barackenmauer, dem Haus 9 und dem Haus 10 geschnitten und konnte daher nicht mehr vollständig rekonstruiert werden . Jedoch scheint es ebenfalls ein Pfostenbau gewesen zu sein, der dieselbe Nord - Süd Ausrichtung aufwies wie Haus 14 und zeitgleich mit diesem sein dürfte, was auch durch die wenigen Keramikfunde gestützt wird.
Am südlichen Schnittrand im mittleren Bereich fanden die Reste eines Lehmestrichs, der zu einer eingetieften Grube oder zu einem Grubenhaus gehört haben dürfte. Interessant sind die Keramikfunde, die ins Neolithikum datieren und die ebenfalls hier gefundenen Schleifsteinfragmente aus Sandstein.
Die Häuser 9 und 10 wurden an Ort und Stelle durch eine Teilrekonstruktion sichtbar gemacht.
- Für die Auswahl des Probenmaterials und die Kalibrierung des Datums danken wir DI DDr. Peter Stadler.
- Winkler E.-M., Jungwirth J., Ein Kinderskelett mit deformiertem Schädel aus Schiltern in Niederösterreich. Zur Geschichte und Technik der künstlichen Schädeldeformierung in Österreich. FÖ, Bd. 17, 1978, S 197-209.